Hochschule Osnabrück / Campus Haste
Osnabrück. Kein Blatt vor den Mund nimmt der Osnabrücker Professor für Zoologie und Tierökologie Dr. Herbert Zucchi, wenn es um den Naturschutz geht. Er rügt den Einsatz von Glyphosat und fordert die Abkehr vom ökonomischen Wachstum sowie eine Änderung im Konsumverhalten.
Über die biologische Vielfalt und wie sie bewahrt werden kann, diskutieren am Freitag, 16. März 2018, mehr als 200 Teilnehmer bei der 5. Campus-Konferenz der Fakultät Agrarwissenschaft und Landschaftsarchitektur der Hochschule Osnabrück. Für Herbert Zucchi ist die Konferenz gleichzeitig so etwas wie eine Abschiedsvorstellung. Am Ende des Sommersemesters geht er in den Ruhestand.
Professor Zucchi, wenn wir über biologische Vielfalt reden, was genau ist damit gemeint?
In Deutschland beispielsweise haben wir etwa 48.000 mehrzellige Tierarten, 9500 Pflanzenarten, 14.000 Pilzarten und 690 Lebensraumtypen zu bewahren. Rund 50 Prozent der Tierarten sind aber bereits jetzt in ihrem Bestand gefährdet oder schon ganz von der Bildfläche verschwunden.
Was ist daran schlimm? In der Evolution gab es doch immer ein Kommen und Gehen der Arten.
Schlimm ist, dass wir zurzeit eine zehn- bis hundertfach beschleunigte Aussterberate haben gegenüber jeder anderen Phase der Erdgeschichte, die wir überblicken können. Und das ist schon deshalb nicht in Ordnung, weil meiner Ansicht nach die Natur einen Eigenwert und damit ein Eigenrecht hat. Wir als Menschen sind nicht berechtigt, den Lebensraum und die Lebensgrundlage von anderen Lebewesen einfach zu zerstören.
Abgesehen von dieser ethischen Frage: Welche praktischen Konsequenzen hat eine geringere biologische Vielfalt?
Viele. Ich will Ihnen zwei Beispiele nennen: 1. Je weniger Arten in einem Lebensraum angesiedelt sind, desto instabiler und anfälliger wird er zum Beispiel für negative Einflüsse wie Trockenheit oder Organismenarten, die schädigend wirken können. Auch die Produktivität der Flächen sinkt. 2. In Deutschland gibt es 569 Bienenarten. Eine davon ist die Honigbiene. Die 568 anderen Arten sind Wildbienen, und sie sind für die Bestäubung von weit mehr als 50 Prozent der Kultur- und Wildpflanzen „verantwortlich“. 60 Prozent von ihnen sind aber bereits im Bestand bedroht oder gar schon verschwunden. Das gefährdet unsere pflanzliche Ernährung ganz massiv!
Kann es wirklich sein, dass ich demnächst in meinem Garten keine Pflaumen oder Kirschen mehr habe?
Ja, das ist ein durchaus realistisches Szenario. Es gibt Gegenden der Erde, wie zum Beispiel besonders umweltbelastete Regionen Chinas, da ist man schon jetzt auf künstliche Bestäubung angewiesen.
Was sind die wesentlichen Ursachen für den Rückgang der biologischen Vielfalt?
Davon gibt es viele. So sind bereits in den 1960er- und 1970er-Jahren Lebensräume wie Hecken, Feldgehölze, Kleingewässer, Raine etc. durch die Flurbereinigung massiv zerstört worden. Auch die zahlreichen totgepflegten und heute oft sogar geschotterten Gärten sind hier zu nennen. Ein ganz entscheidender Faktor ist aber die aktuelle Landwirtschaft mit ihrer intensiven Flächennutzung.
Wieso ist intensive Nutzung gefährlich?
Weil dafür zum Beispiel hohe Düngermengen und Pestizide genutzt werden. So werden 40 Prozent der Ackerflächen mit Glyphosat gespritzt. Dieses Herbizid löscht alle Wildpflanzen aus und entzieht damit den Insekten die Nahrungsbasis, die dann wiederum den Vögeln fehlen. Es gibt also eine Kettenreaktion. Ebenso sind Neonicotinoide zu nennen, die schädigend auf Insekten wirken.
Wird nicht vor der Zulassung solcher Mittel getestet, ob sie schädlich sind?
Schon, aber es wird nur überprüft, ob ein Stoff eine direkte tödliche Wirkung hat. Neonicotinoide haben aber Langzeitfolgen wie Schädigung des Orientierungsvermögens, des Immunsystems und der Fortpflanzungsfähigkeit. Das wird nicht getestet!
Ist die Industrie also an allem schuld?
Das Grundübel ist unsere Vorstellung vom unbegrenzten Wachstum – damit wird sich auf der Campus-Konferenz übrigens der Vortrag von Niko Paech befassen. Wenn man sich mit biologischen Systemen lang genug beschäftigt hat, dann weiß man, dass Wachstum immer Grenzen haben muss. Und wer etwas anderes vertritt, ist entweder ein klassischer Ökonom oder ein klassischer Dummkopf.
Es geht auf der Konferenz aber auch um Lösungsansätze.
Es geht in verschiedenen Vorträgen um Schritte, den Niedergang zu verlangsamen oder an einigen Stellen vielleicht sogar zu stoppen. Dazu gehören die konsequente Anwendung des Naturschutzrechts, andere Wege in der Landwirtschaft, ökologische Schutzstationen, aber auch Bildungsarbeit. Es ist ja nie so viel über biologische Vielfalt und das Artensterben in den Medien berichtet worden wie im vergangenen Jahr. Da tut sich was in Sachen Bewusstseinsänderung. Und das muss es auch. Solange nicht jeder etwas an seinem persönlichen Leben ändert, an Konsum und Mobilität zum Beispiel, kommen wir nicht weiter. Wenn sich Verbraucher auf Fleisch stürzen, das billiger ist als Hundefutter, wird sich an der intensiven Landwirtschaft und ihren Folgen für die biologische Vielfalt nichts ändern.
Also ist der Schwarze Peter jetzt wieder beim Verbraucher?
Einerseits ist jeder Einzelne gefragt. Aber andererseits müssen natürlich von der Politik mutige Schritte gemacht werden. Ich kenne viele Landwirte, die würden selbst gern etwas verändern, könne aber nicht oder nicht so schnell. Aber bei den Funktionären der Landwirtschaftsverbände sehe ich ehrlich gesagt bislang noch kein Licht. Und wenn man an die Macht der Chemiekonzerne denkt, schaut man in die Finsternis.
Was erwarten Sie von der Tagung?
Zunächst mal freue ich mich darauf. Es haben sich über 200 Teilnehmer angemeldet, das ist eine enorme Zahl, die zeigt, dass das Thema dran ist. Ich freue mich auch, weil es meine letzte Tagung vor dem Ruhestand ist und viele alte Bekannte kommen. Und was das Ergebnis betrifft: Wir werden jetzt nicht an einem Tag alle Probleme lösen. Was wir brauchen, ist die Verbindung von grundsätzlichen Überlegungen zu unserem Lebensstil und von konkreten Schritten zum Natur- und Artenschutz. Das kommt beides auf der Konferenz zusammen, und wie das passt, darauf bin ich gespannt.