In der niedersächsischen Friedensstadt Osnabrück erhält Nachhaltigkeit Einzug in alle kommunalen Aktivitäten und wird dezentral umgesetzt und gelebt. Als Leitbild dienen hierbei die „Strategischen Ziele“, die u.a. eine sozial- und umweltgerechte Stadtentwicklung, Perspektivenschaffung für junge Menschen sowie Umweltbewusstsein und den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen verfolgen. Ob diese auch tatsächlich umgesetzt werden, können Verwaltung und Bürger/innen über den hierfür eigens entwickelten Indikatoren-Katalog „KOSMOS“ detailliert und wirkungsorientiert überprüfen.
Partizipation wird in der Friedensstadt großgeschrieben: So konnten Bürger/innen bspw. beim städtebaulichen „Masterplan Innenstadt“ ihre Ideen zur nachhaltigen Entwicklung bei „Stadtspaziergängen“ und in „Bürgerwerkstätten“ einbringen. Der Masterplan setzt u.a. auf die Nachverdichtung der Siedlungsstruktur, weniger Platz für den motorisierten Individualverkehr und mehr Grünflächen mit hoher Aufenthalts-qualität. Während in kommunale Entscheidungen nicht nur Menschen jeden Alters bspw. durch das Jugendparlament, das Büro für Kinder- und Jugendbeteiligung und den Seniorenbeirat einbezogen werden, dient das Pilotprojekt „Gestalte Deine Stadt - Osnabrücks Zukunft kennt keine Herkunft" der Horizonterweiterung nachhaltiger Entwicklung um migrantische Perspektiven. Damit sich Neuankömmlinge und Integrations-stellen leichter im „Integrationsdschungel" zurechtfinden, entwickelte die Kommune das integrierte Konzept „Von der Erstaufnahme zur Überleitung in die Regelsysteme“. Als besonders hilfreich hat sich in diesem Zusammenhang die „Osnabrücker Mappe“ in deutscher und arabischer Sprache erwiesen, in der wichtige Unterlagen organisiert und so eine lückenlose Integrationskette ermöglicht werden kann.
Auch in Sachen Klima- und Ressourcenschutz agiert die Kommune vorbildlich: Der von zahlreichen Akteuren getragene „Masterplan 100 % Klimaschutz“ verfolgt bis zum Jahr 2050 u.a. eine Senkung der CO2-Emissionen um 95 Prozent. Um zukünftig einen großen Anteil der Stromversorgung aus erneuerbaren Energien zu decken, hat Osnabrück 2008 u.a. das bundesweit erste Solardachpotenzialkataster implementiert und aktuell eine große Solarstromoffensive gestartet. Dem Projekt „Wirtschaftsförderung 4.0“, welches sich mit regionalen Wertschöpfungsketten und Themen wie Teilen, Tauschen und Reparieren beschäftigt, gelingt eindrucksvoll der Nachweis, dass hinter Nachhaltigkeit auch Geschäftsmodelle stecken können. Zahlreiche Maßnahmen im Bereich Bildung für nachhaltige Entwicklung wie „Plastiktütenfreies Osnabrück“, „Klimabotschafter“ oder der außerschulische Lernstandort „Museum am Schölerberg“ werden von Stadt und Stadtgesell-schaft umgesetzt und verankern ein Nachhaltigkeitsbewusstsein schon bei den Kleinsten.
„Klar auf Kurs für ein nachhaltiges Osnabrück“ – diese strategische, wirkungsorientierte und partizipative Handlungsweise für mehr Nachhaltigkeit in allen Handlungsfeldern würdigt die Jury des Deutschen Nachhaltigkeitspreises mit der Auszeichnung als „Deutschlands nachhaltigste Großstadt 2020“. (Quelle)
Es gibt Zauberworte, die haben allen Zauber verloren. Zum Beispiel: Nachhaltigkeit. Zu wahllos verwendet, weiß niemand mehr so recht, für was es noch steht.
In Osnabrück hat dieses Wort derzeit einen besonders irritierenden Klang. Am Montag bekommt die Stadt Osnabrück den Deutschen Nachhaltigkeitspreis 2020 in der Kategorie Großstadt verliehen. Dabei ist Nachhaltigkeit in Osnabrück oft nur Wortgeklingel für nette Konzepte, aber das ist offenbar egal. 30.000 Euro ist der Sieg wert.
Seit 2012 prämiert die Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis neben Produkten und Marken, Unternehmen und Forschungsergebnissen auch ganze Städte. Im Kuratorium sitzt auch Carsten Tilger, Pressemann beim Wasch- und Reinigungsmittelhersteller Henkel. Moment: War da nicht mal was mit Regenwaldabholzung für Palmöl und so? Außerdem ist die Stiftung stolz auf den Partner VW. Als habe es den Abgas-Skandal nie gegeben. Daimler und BASF hat die Stiftung übrigens auch schon mal prämiert, ebenso Unilever und Procter & Gamble. „In Sachen Klima- und Ressourcenschutz agiert die Kommune vorbildlich“, lobt die Jury die diesjährige Gewinnerin. Und führt als Beleg Osnabrücks „Masterplan 100% Klimaschutz“ ins Feld, in dem Osnabrück sich etwa verpflichtet, die CO2-Emissionen zu senken.
Andreas Peters macht das zornig. „Wir Umweltverbände sind aus dem Masterplan unter Protest ausgestiegen“, sagt der Vorsitzende des Nabu Osnabrück und des Umweltforums Osnabrücker Land. „Die produzieren doch nur heiße Luft.“ Über den Preis für Osnabrück habe er „sehr gestaunt“. Lars Biesenthal, Organisator bei „Fridays or Future“ in Osnabrück, sieht das genauso: „Absolut unverdient.“ Diesen Eindruck stärkt zum Beispiel ein Blick auf die Stadtwerke Osnabrück AG, einer hundertprozentigen Tochter der Stadt. Erst Ende 2017 haben sie ihren Anteil am Trianel-Steinkohlekraftwerk in Lünen aufgestockt. In Osnabrück kann man sich die Lage nun auch Dank der Auszeichnung weiter schönreden, kann über das marode Radwegenetz ebenso hinwegsehen wie über die unnötigen Autobahn-Pläne. Aber sollte es trotzdem stimmen, dass die Stadt Osnabrück eine Nachhaltigkeits-Heldin ist, stellt sich die Frage: Wie schrecklich muss die Lage in den Städten sein, die leer ausgegangen sind? Harff-Peter Schönherr