aus:B. Thöns: Den Baikal entdecken, Trescher-Verlag, Rückseite |
Vorwort:
Es ist, wie auch schon die meisten Reisebeschreiber hiesiger Gegenden angemerkt haben, bei den Völkern dieser Länder ein Glaubensartikel, den See Baikal ein Meer und nicht einen See zu nennen, weil ihrem Vorgeben nach der See es sich für schimpflich hält, ein See genannt zu werden, und sich unfehlbar an dem, der ihm solchen Schimpf antut, rächt. Weil sie nun solchergestalt meinen, daß derselbe etwas Göttliches an sich habe, so hat er schon von alten Zeiten her den Namen >Heiliges Meer< erhalten. Johann Georg Gmelin (um 1730)
Baikal - dieses Wort klingt lange nach und ruft assoziationen irgendwo zwischen Nirwana und Eishölle hervor. Das Wort Baikal hat nicht weniger Entstehungsgeschichten als der See selbst. Die Russen erreichten den Baikal bekanntlich erstmalig 1643 und trafen auf verschiedene Bezeichnungen. Die Evenken sprachen vom Lamu, was Meer bedeutet. Die Burjaten nannten ihn Bai-Gal-Nuur, was mit den Begriffen Säule, Feuer und See auch auf einen vulkanischen Ursprung hinweist. Bei den Kirgisen hieß er Bai-Kul, was soviel wie reicher See bedeutet. Die Chinesen nannten ihn Bai Chai - das nördliche Meer. Als Synthese entstand Baikal, das im Russischen im Unterschied zum Deutschen auf der zweiten Silbe betont wird. Der Begriff Baikalsee (Bajkal'skoe ozero oder ozero Bajkal) wird in Rußland kaum verwendet. Das Anhängsel >See< wird, wenn es um dieses einzig-artige Naturereignis geht, doch eher als eine dem hohen Anspruch nicht gerecht werdende und demzufolge überflüssige Verkleinerungsform angesehen. Aber die Gedanken und Gefühle pendeln beim Wort Baikal oder Baikalsee irgendwo zwischen dem Traum einer unendlichen Sibirienreise ohne jegliche Hektik und dem Alptraum des russischen Kulturschocks in seiner sibirischen extremvariante. Man hört die tiefen Stimmen des Kosakenchores, der das Lied vom herrlichen und heiligen Meer Baikal intoniert und sieht die Bilder der eindrucksvollen Dokumentarfilme von Klaus Bednarz vor Augen. Man möchte schon einmal hinfahren, aber man traut sich nicht so richtig. Das kyrillische Alphabet, die Russenmafia, die marode Wirtschaft, die Armut im Lande, so lange ist es ja noch nicht her, daß sich Deutsche und Russen kaum über den Weg beziehungsweise die Mauer trauten oder aber das von oben verordnete brüderliche Vertrauen zumeist recht skeptisch beurteilten.
»Lieber einmal mit eigenen Augen sehen, als einhundertmal davon zu hören« - so heißt ein russisches Sprichwort. Dank der vielen Wiederholungen in den dritten Programmen können wir optimistisch sein, daß wir es vielleicht schaffen, den Baikalsee in der bereits erwähnten Balladenvariante aus dem Fernsehsessel in absehbarer Zeit einhundertmal gesehen zu haben. Aber ohne die wirklich phantastischen Bednarz-Filme geringschätzen zu wollen, einmal selbst hinfahren und es sich nicht mit dem Auge des Kameramanns, sondern mit den eigenen ansehen...
Grundkenntnisse des kyrillischen Alphabetes sind ohne Zweifel hilfreich, aber man kommt auch ohne zurecht. Das Risiko, ein Opfer der Russenmafia zu werden, ist ähnlich hoch wie die Wahrscheinlichkeit, während des Italienurlaubs am Gardasee vielleicht ihrem dortigen Pendant in die kriminellen Hände zu fallen. Die Wirtschaft weist - allerdings zugegebenermaßen auf einem niedrigeren Ausgangsniveau - Zuwachsraten auf, von denen wir in den nächsten zehn Jahren mit oder ohne Steuerreform nur träumen werden. Und die Armut auf dem oder in dem Lande? Es geht für die meisten Menschen wirklich aufwärts, und das große Jam- mern hört man verblüffenderweise vor den deutschen Nachrichtenkameras dramatisch häufiger als während persönlicher Begegnungen und Gespräche vor Ort. Entweder selektieren die Journalisten nicht gerade repräsentativ, oder die Russen beherrschen das sogenannte >Zielgruppenmarketing< besser als wir vermuten, da alle dem Trugschluß unterliegen, daß man in Deutschland nur traurige und leidvolle Geschichten über Rußland erwartet. Woran es in diesem Zusammenhang wirklich mangelt, sind vertrauenswürdige Informationen für die, die sich trauen (wollen), Rußland und den Baikal mit eigenen Augen zu sehen. Und deren Zahl wächst. Das Interesse an touristischen Offerten aus Mütterchen Rußland hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Der Baikal ist dabei eine der gefragtesten Ecken in den endlosen Weiten des russischen Universums. Obwohl also die >blaue Perle Sibiriens<, der >Brunnen des Planeten< auch in Deutschland in aller Munde ist, gab es bislang hierzulande keinen Reiseführer über dieses einzigartige Reiseziel. Potentielle reiseinteressenten mußten sich mit den Programm-Informationen der Reiseveranstalter und den nicht sehr detaillierten Angaben in Reiseführern zum Thema Rußland, Sibirien oder Transsibirische Eisenbahn begnügen. Zumindestens in dieser Hinsicht möchte das vorliegende Buch Abhilfe schaffen und dem geneigten Leser in kompakter und unterhaltsamer Form alle notwendigen Vorder- und Hintergrundinformationen für eine Baikalreise vermitteln. Die mit Abstand meisten ausländischen Besucher des Baikal kommen heute aus Deutschland, und vielerorts berichten mir russische Freunde, daß da mal ein sehr guter Film im Fernsehen über den Baikal gelaufen sein muß, denn viele Deutsche erzählen, daß sie nach diesem Film den Baikal mit eigenen Augen sehen wollten. Klaus Bednarz hätte also ohne Zweifel einen Orden für seinen Beitrag zur Entwicklung des Tourismus in dieser Region verdient. Nach der ARD setzt nun das ZDF Anfang 2004 mit seiner vierteiligen Erlebnis-Dokumentation >Sternflüstern< über das dreimonatige Baikalabenteuer zweier deutscher Familien in einem Dorf auf der Insel OPchon diese Linie mit neuen Akzenten fort. Sie befinden sich dabei in guter Tradition und fast ausgetretenen Pfaden. Es ist erstaunlich, wie viele Spuren deutsche Forschungsreisende, Unternehmer, Journalisten und Abenteurer in der Geschichte des Baikal und seiner Erkundung und Erschließung hinterlassen haben und wie intensiv sich heute die Zusammenarbeit in den unterschiedlichsten Formen entwickelt: vom Studenten- und Lehrkräfteaustausch über eine Zusammenarbeit bei der Erforschung des Baikal, die wirtschaftliche Zusammenarbeit und natürlich auch im Tourismus. Viele der noch wenigen deutschen Baikaltouristen werden zu klassischen Wiederholungstätern. »Aller guten Dinge sind drei«, lautet ein deutsches Sprichwort. »Gott mag die Dreifaltigkeit«, lautet die Übersetzung des russischen Pen- dants. Aber nach drei großen Baikalreisen kann ich nur bestätigen, daß es einen wieder hinzieht. Die vielzitierten Risiken und Nebenwirkungen, die heute bei einem Rußland-Urlaub viel geringer sind, als allgemein angenommen, haben am Baikal aber eine eigenwillige Langzeitwirkung - dem Baikal wird vollkommen zu Recht eine besondere energetische Wirkung zugeschrieben. Der am Baikal lebende und auch in Deutschland bekannte russische Schriftsteller Valentin Rasputin zitierte in einem Essay über den Baikal aus dem Brief eines Freundes, den dieser nach einer gemeinsamen Baikalreise an Rasputin geschrieben hatte: »Daß ich neue Kraft gewonnen habe, ist verständlich, aber auch Geist und Seele haben am Baikal neue Kraft gewonnen. Ich spüre auf einmal, daß ich viel zu leisten vermag und ich glaube nun auch unterscheiden zu können, was ich tun und was ich lassen sollte. Wie schön, daß wir den Baikal haben. Wenn ich morgens aufstehe, verneige ich mich in Eure Richtung, wo Vater Baikal ruht, und mich überkommt das Gefühl, Berge versetzen zu können.« Rasputin ergänzt nur lakonisch: »Ich verstehe ihn...«.
Auch die Entstehung dieses Buches ist in gewisser Weise ein solcher kleiner versetzter Berg. Mir war klar geworden, daß ich die Reiseführer-Lücke zum Thema Baikal schließen muß, um Ihnen, liebe Leser, ein Hindernis auf dem Weg zum Baikal aus dem Weg zu räumen. Meine nächste Reise für 2004 ist jedenfalls bereits in der Vorbereitung. Der Rekordhalter in meinem Bekanntenkreis plant gerade seine zwölfte Urlaubsreise an den Baikal.
An dieser Stelle möchte ich meiner Familie für ihre Geduld und insbesondere meiner Tochter Julia für ihre tatkräftige Unterstützung danken. Mein Dank gilt daneben allen Freunden und Bekannten, die mich bei diesem Buch unterstützt haben. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit möchte in alphabetischer Reihenfolge Viktor Charmachomov (Ulan-Ude), Martin Hofmann (Irkutsk), Kai Pohl (Seelitz), Eugenia Röpstorf (Berlin) Eliane Roth (Starnberg), Tatjana Sermjagina (Bratsk) und Vera Toropovskaja (Irkutsk) besonders hervorheben.
Zur Zeit das beste, weil informativste deutschsprachige Buch
Vorwort: Sibirien - geheimnisvolles, unbekanntes Land!
Für viele Europäer ist der Norden des asiatischen Kontinents der letzte weiße Fleck auf der Weltkarte. Einerseits Synonym für Gefangenschaft und Leiden, ist der Name Sibirien zugleich Inbegriff der Freiheit: unberührte, wilde Natur, deren Dimension unsere Vorstellungskraft übersteigt. Sein Herzstück, die Baikalregion, rückt in den letzten Jahren immer mehr in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.
Sie lockte auch uns, als wir - mein Mann, unsere beiden Töchter und ich - beschlossen, unseren Lebensmittelpunkt für vier Jahre nach Irkutsk in die Nähe des Baikalsees zu verlegen. Ein Ergebnis dieser Zeit ist dieses Buch. Unzählige Fahrten, Wanderungen und Erlebnisse mit der Natur und den Menschen haben darin ihren Niederschlag gefunden, aber auch der ganz normale Alltag einer sibirischen Stadt. Bisher ist das Baikalgebiet als Reiseziel schwach entwickelt. Doch es gibt viel zu entdecken! Sibirische Städte stellen ihre erstaunlich vielfältige Geschichte nicht so deutlich zur Schau wie ihre großen Schwestern St. Petersburg oder Moskau. Doch wer genau hinsieht, entdeckt eine Vielzahl faszinierender Details. Interessant ist es auch, sich auf den Spuren der Völkerschaften zu bewegen, die in der Region vor Hunderten von Jahren siedelten und deren Nachfahren bis heute zur ethnischen und religiösen Vielfalt des Baikalgebiets beitragen. Für Technikinteressierte gibt es an der Transsibirischen Eisenbahn vieles zu sehen. Einer ihrer aufwendigsten und landschaftlich schönsten Abschnitte liegt am Baikalsee. Ein Paradies finden Trekking-Begeisterte und Naturliebhaber vor: riesige, unberührte Wälder, Gebirge mit Gipfeln aller Schwierigkeitsgrade, klare Bergflüsse und eine reiche Tier- und Pflanzenwelt. Und natürlich einen See, der auf der ganzen Welt nicht seinesgleichen hat. Immer mehr Menschen zieht er auch im Winter an. Dieses Buch gibt deshalb ausführliche Hinweise für Möglichkeiten des Winterurlaubs am Baikal.
Wir möchten einen Reiseführer vorlegen, der nicht zum oberflächlichen Konsum anregt. Sowohl das ökologische als auch das wirtschaftliche Gleichgewicht der Baikalregion sind sensibel und reagieren empfindlich auf Belastung. Andererseits braucht die Region Entwicklungsperspektiven, und ein schonender Tourismus ist eine der vielversprechendsten. Besonders wichtig ist dafür, dass Gewinne in der Region bleiben - einer der Gründe, warum wir kleine und regionale Anbieter hervorheben und allen, die auch einmal ohne fließend Wasser auskommen, Privatunterkünfte empfehlen. Als Gast in einem sibirischen Dorf findet man am besten die Ursprünglichkeit des Landes. Dieses Reisehandbuch gibt alle praktischen Tipps für einen gelungenen Aufenthalt in der Baikalregion. Wir wünschen Ihnen eine gute Reise mit vielen bereichernden sibirischen Erfahrungen!
Heike Mall und Roger Just www.baikalsee.net
Dort umfangreiche Literaturhinweise!