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Dann aber - im 19. Jahrhundert - wandelte sich das Bild völlig. Die alles umwälzende und verändernde Industrielle Revolution machte sich auch in Osnabrück bemerkbar, ein wenig zögerlich zunächst, dann aber mit aller Macht. Osnabrück hatte im Jahre 1851 ungefähr 13.500 Einwohner, 1860 waren es 16.000. 1872, als man begann, die Wälle zu schleifen, wohnten bereits 25.000 Menschen in der Stadt.
Abb. 5: Die Bevölkerungsentwicklung in OSanbrück in den Jahren 1861 bis 1876: Die Stadt platzte aus allen Nähten! |
Das von der Stadtmauer umgebene Gebiet der Alt- und Neustadt war im Mittelalter großzügig und weitflächig für die damals etwa 5.000 in Osnabrück lebenden Menschen angelegt worden, nun jedoch platzte die Stadt aus allen Nähten!
Erst 1843 war das Festungsgebot - das Verbot, jenseits der Stadtmauern zu siedeln - aufgehoben worden. Nur wohlhabende Osnabrücker Bürger konnten es sich nun leisten, außerhalb der Stadtenge zu bauen. Aber mit dem Beginn der Industrialisierung und dem Aufbau unzähliger kleiner, mittlerer und großer Betriebe strömten Tausende von Menschen auf der Suche nach Arbeit in die Stadt.Und damit begannen die Probleme! Nicht nur, daß die Stadt völlig überfüllt war und nun erheblich mehr Abwässer aus dem Bereich der persönlichen Lebensführung anfielen. Die sich entwickelnde Industrie, die indirekt für die vermehrten organischen Abwässer verantwortlich war, belastete die Hase zusätzlich durch die Einleitung von Industrieabwässern. Noch krasser als für die Stadt Osnabrück wird das für die damals noch selbständige Landgemeinde Schinkel belegt.
Die Gemeinde entwickelte sich zunächst nur sehr langsam. So hatte sie 1772 lediglich 321 Einwohner, im Jahre 1845, als in Deutschland die Industrielle Revolution gerade zu erahnen war, immerhin schon 742.
Erst die Industrieansiedlungen in unmittelbarer Nähe des Schinkels, der Eisenbahnbau und die Versorgungsanlagen der Eisenbahn brachten große Veränderungen für die Gemeinde und führten zu einem raschen Wandel von ländlichen zu städtischen Strukturen. Ab 1870 entstanden die Kolonien Mittelburg, Wilhelmshöhe und die Eisenbahnkolonie an der Bremer Straße. Immer mehr Arbeiter siedelten sich um die Industriebetriebe herum an, und die Bevölkerung stieg von 815 im Jahre 1864 auf 8.184 im Jahre 1910.
Mit dem, was nun ins Wasser geleitet wurde - von der Stadt Osnabrück, von der Landgemeinde Schinkel und von den zahlreichen Industriebetrieben - konnte die Hase wahrlich nicht mehr fertig werden.
Erste Überlegungen, daß sich verdrecktes Wasser auf die Gesundheit - und damit auf die Lebensqualität - auswirken kann, kamen angesichts der Cholera-Epidemie 1859 auf, die zahlreiche Todesopfer forderte. Allerdings standen im Mittelpunkt des Interesses zunächst nur das unsaubere Stadtbild und die verseuchten Trinkwasserbrunnen. Die Forderung nach einer Kanalisation, nach einer unterirdischen Sammlung von Abwässern und Fäkalien und deren gesammelte Hinführung in die Hase zog allerdings noch keine Überlegungen nach sich, was man damit der ohnehin verdreckten Hase antun würde. Mit Hochdruck wurde am Kanalnetz gearbeitet.
Abb. 6: Eine Anzeige des Osnabrückischen Anzeigers vom 30.07.1859: Trotz der zahlreichen Toten versuchte die Polizei-Direction die Epidemie zu verharmlosen. Von den 295 erkrankten Menschen starben 149 an der Seuche. |
Im Jahre 1876 war es bereits 11,232 km lang, und die Bürger forderten vehement, die Stadtgräben endlich zuzuschütten, weil sie „pestilenz-artig“ stanken.
Bis zum Jahre 1889 mündete der Sammelkanal in unmittelbarer Nähe der alten Hasetorbrücke in den Fluß, wegen der vielen Beschwerden wurde die Einmündung dann unterhalb der neuen Kaiserwallbrücken (jetzt Hasetorwall) angelegt, was aber auch nur Klagen und Beschwerden nach sich zog.
Abb. 7: Industrie siedelt sich vorwiegend an der Hase an. Blick von der Neumarktbrücke Richtung Bahnhof. Im Hintergrund der hohe Schornstein der Stahlwerkes (um 1900) |
Zu diesem Zeitpunkt hatte man das Problem wohl erkannt - Abwässer und Fäkalien in der Hase beeinträchtigten das Leben an der Hase, weil das Wasser unappetitlich aussah und stank, weil man dort keine Wäsche mehr waschen konnte - aber an die heute naheliegende Lösung dachte man noch nicht. Statt dessen verlagerte man diese Probleme an den Stadtrand. Wohl bemerkt, die Abwässer liefen ungeklärt in die Hase ...
Mit der Einrichtung einer städtischen Kläranlage dauerte es etwas länger. Ab 1901 plante man, alle in der Stadt erfaßten Abwässer und Fäkalien mittels eines Sammelkanals hinter der Eggemannschen Papiermühle in die Hase zu leiten, nachdem sie zuvor eine Kläranlage passiert hätten. Aber es dauerte dann noch bis zum Jahre 1914, als endlich das städtische Klärwerk, welches die Abwässer zumindest mechanisch reinigte, eröffnet werden konnte.
Betrachtet man die Hase in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts anhand der Pressemitteilungen, dann bietet sich ein schreckliches Bild: Die Hase ist eine stinkende, verdreckte und mit Pflanzen überwucherte Kloake, in der keine Tiere, weder Fische noch Enten und Schwäne, überleben können!
Wie nahmen denn nun die Osnabrücker den Zustand „ihres“ Flusses wahr? Noch 1884, als sich die Osnabrücker Zeitungen mit Negativmeldungen über die desolate Hase bereits überschlugen, war in der Osnabrücker Volkszeitung der durchaus ernstgemeinte Vorschlag zu lesen, die Stadt solle ihr Trinkwasserleitungsnetz mit Wasser aus der Hase speisen, das sei die billigste und gesündeste (!) Maßnahme, um den Bau einer Wasserleitung endlich in Angriff zu nehmen.
Es erscheint uns heute unvorstellbar, daß die Osnabrücker Bürger vor gut 100 Jahren diesen Zustand der Hase einfach hingenommen haben sollen, ohne etwas dagegen zu tun. Aber bevor ein Problem gelöst werden kann, muß man es zunächst überhaupt erst einmal als Problem wahrnehmen! Die nebenstehende kleine Notiz unter der Rubrik „Local- und Provincial-Nachrichten“ aus der Osnabrücker Volkszeitung im Jahre 1874 läßt erkennen, daß man das Übel bereits erkannt hatte.
„Da die öffentliche städtische Badestelle unweit des Schützenhofes, wo auch das Militär badet, an Versandung, Schmutz und Wasserpflanzen leidet, soll dieselbe gereinigt und ausgeräumt werden. Dasselbe geschieht schon jetzt mit einer Hasestrecke unterhalb der Westerkampschen Mühle in welcher sich, zugeführt durch den Sandbach, vieler Schmutz und Gastheerabgänge aus dem städtischen Gaswerke abgelagert haben, welche namentlich für die unterhalb liegenden Bleichen nachteilig werden.“ (OVZ, 21.5.1874)
Was ist an dieser kurzen Nachricht so Besonderes:
Osnabrück besitzt ein Gaswerk, gut. Weniger gut ist, daß auch der Sandbach zur Abwasserbeseitigung herhalten muß, und damit zwangsläufig auch die Hase in Mitleidenschaft gezogen wird. Erwähnenswert ist die Meldung aber deshalb, weil zum einen eine weitere Funktion der Hase sichtbar wird: der Fluß als Mittel zur Freizeitgestaltung und für die Aufrechterhaltung der Gesundheit (Schwimmen).
Zum anderen hat man die Schädlichkeit industrieller Abwässer zwar erkannt, stellt sie aber lediglich fest. Der Urheber wird sogar genannt, aber mehr wird daraus nicht gefolgert. Nicht die Einleitungen werden gestoppt, sondern der Fluß wird gereinigt. Später (1883) berichtete die OVZ erneut darüber:
„Am vorigen Freitage waren zwei Schwäne aus der Hase in das Beizwasser neben dem Sandbach gerathen, allwo das schädliche Wasser der Gasanstalt und des Witte u. Kämperschen Werkes abgeleitet wird. Die Thiere wären sicher zu Grunde gegangen, wenn nicht der Gastwirth Kröchling solches entdeckt und mit Mühe die Thiere aufgefangen und der Hase wieder zugeführt hätte.“
Eine Steigerung der Problemwahrnehmung ist bemerkbar:
Das eingeleitete Wasser ist schädlich und kann sogar Leben bedrohen (vorerst das von Schwänen). Die angesprochene Tierliebe des für erwähnenswert erachteten Gastwirtes deutet auf die nahezu schizophrene Einstellung vieler Osnabrücker Bürger ihrem Fluß und den darauf lebenden Vögeln gegenüber hin.
Dieser erstaunliche Sachverhalt wird weiter unten behandelt. Zunächst noch eine Steigerung der letztgenannten Zeitungsmeldung, nun aus dem Jahre 1887. Die Hase: eine stinkende, verdreckte und mit Pflanzen überwucherte Kloake!
„Betreffs der Canaleinmündungen am Hasethore und der Schmutz- und Unrath-Ablagerung im Hasebette in nächster Nähe der Stadt, geht uns von Interessenten ein diese Uebelstände rügendes Schreiben zu, in dem gewünscht wird, daß die Canäle weiter geführt werden, und von der Stadt entfernt ausmünden, daß dafür gesorgt werde, daß auf den Bleichen die Wäsche in reinem Wasser gespült werden kann. Der Zustand des Wassers in diesem Sommer sei ein recht trauriger gewesen, und sei es wohl keine Frage, daß Wäsche, in solcher Canal-Jauche gespielt , der Gesundheit nachträglich sein müsse. (Der Wunsch hat ohne Frage Berechtigung; eine Weiterführung der Canäle und damit Verlegung der Ausmündungen ist in sanitärer Hinsicht durchaus geboten.)“ (OT, 25.10.1887)
Wie man sieht, die Zustände in der Hase werden nicht mehr so einfach hingenommen! Es wird gefordert, Abhilfe zu schaffen, zumal nun auch eine gesundheitliche Bedrohung vorliegt. Diese Äußerungen zeigen, daß bereits begonnen wurde, umzudenken, allerdings vorerst in eine falsche Richtung!
Nicht die Klärung der Abwässer oder die Reinhaltung des Hasewassers wird verlangt, sondern die Verlegung der Einmündung der nach wie vor ungeklärten Abwässer - weiter haseabwärts, damit die städtischen Anwohner nicht mehr ganz so geplagt werden. Treu nach dem Motto: „Nach mir die Sintflut!“ Aber die ersten Schritte waren getan: man nahm den Zustand der Hase wahr, und man forderte Abhilfe!
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