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Mit der Erkenntnis, daß der Fluß vergiftet ist, war der erste Schritt zur Problembewältigung getan. Aber trotzdem sahen viele Osnabrücker die Hase als Abfallbeseitigungsstätte an, in der man alles entsorgen konnte, was man nicht mehr brauchte. Hinweise und Aufrufe in der Tagespresse schienen nicht zu fruchten, denn das Osnabrücker Tageblatt empörte sich immer wieder erneut darüber, daß man (lebendige oder tote) Tiere in der Hase entsorgte, außerdem beschwerten sich im Sommer, wenn die Hase nur wenig Wasser führte, die Anlieger über den „widerlichen Anblick“ und den „abscheulichen Geruch“ (wen wundert’s?). Den Osnabrückern wurde mitgeteilt, daß es bereits seit 1873 verboten war, „crepiertes Vieh oder lebende Tiere zum Ersäufen in ein Flußbett zu werfen.“ Zuwiderhandlungen konnten mit Geld- oder Haftstrafe geahndet werden.
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Abb. 10: Eine Postkarte aus der Zeit um die Jahrhundertwende. Nichts weist auf die Haseproblematik hin … |
Das paradoxe Verhältnis zur Hase wird auch durch andere Maßnahmen deutlich: man fühlte sich zwar hilflos dem Dreck und Gestank ausgeliefert und hatte keine Vorstellungen, wie man diesen Zustand beheben könne, aber „schön“ mußte die Hase sein!
„Von der Hase. Nachdem das Wasser der Hase nun wieder etwas fällt, geht das alte Uebel wieder los und treibt dieselbe wieder mit dem bekannten Schmutz. Einem Naturforscher wäre da die schönste Gelegenheit geboten, denn von der kleinen Spitzmaus aufwärts bis zum ausgewachsenen Schwein ist daselbst alles zu finden, Hunde, Katzen, Ziegen etc. Es wäre doch endlich zu wünschen, daß diese Tiere verscharrt und nicht ins Wasser geworfen würden.“ (OT, 11.4.1894)
Auffällig ist auch, daß vor allem die Haseanlieger immer wieder von der Stadt forderten, die Hase zu reinigen. Obwohl sie durch die engagierte Tagespresse darüber informiert waren, daß hauptsächlich die an der Hase liegenden Werke für die Verschmutzung und Vergiftung verantwortlich waren - und selbst mutmaßten, die Einleitungen der Landgemeinde Schinkel würden das Ihrige beisteuern - forderten sie im vergangenen Jahrhundert nicht, nur geklärte Industrieabwässer in die Hase zu leiten bzw. diese Einleitungen ganz zu stoppen.
Ausnahmen bestätigen - wie immer - die Regel: In der 2. Hälfte des 19. Jh. wurde die Piesberger Steinkohle in großem Umfang abgebaut. In den Stollen sammelten sich immer größere Mengen von Grubenwasser mit einem Salzgehalt von bis zu 46 Gramm pro Liter an. Dieses Salzwasser mußte aus den Stollen gepumpt werden; pro Minute wurden 15.000 Liter salz- und eisenoxidhaltiges Wasser in die Hase befördert. Das waren, so schildert ein Artikel im Osnabrücker Tageblatt vom 25.8.1887, täglich „etwa 17 Doppelwaggon Kochsalz.“
Wenn bei Hochwasser die Hase über die Ufer trat, wurden die anliegenden Wiesen wegen des hohen Salzgehaltes stark beschädigt, und die Wiesen- und Weidenbesitzer forderten vehement das Abstellen dieser Einleitungspraxis.
„Von der Hase. Gestern Morgen 5 ½ Uhr war die Hase unterhalb Osnabrück wieder mit betäubten Fischen bedeckt, die in Massen herausgefangen wurden. Das Wasser hatte einen säuerlichen widerlichen Geruch.“ (OT, 1.5.1893)
Dieses Beispiel zeigt auch, daß nicht nur wirtschaftliche Interessen mitverantwortlich für die Haseverschmutzungen waren, sondern daß auch hinter Forderungen, solche Einleitungen zu unterlassen, wirtschaftliche und nicht ökologische Interessen stehen konnten.
Der Wunsch, die Symptome der Haseverschmutzung zu bekämpfen, nicht aber die Ursache, ist aus der damaligen Sicht nachvollziehbar. Innerhalb weniger Jahrzehnte war aus der beschaulichen Ackerbürgerstadt eine pulsierende Industriestadt entstanden. Unvorstellbare technische Errungenschaften wie Eisenbahn, ein erstes Telefonnetz, Gasversorgung, Fragen der Elektrifizierung, städtisches Wasserleitungsnetz etc. mußten erst einmal verdaut werden.
Der Aufschwung der Stadt stand im Zusammenhang mit der Industrialisierung; kaum jemand wagte es, diese Errungenschaften, die ein neues Zeitalter eingeläutet hatten, zu kritisieren. Daß beim Beginn eines neuen Zeitalters manches Alte auf der Strecke blieb, schien unabwendbar zu sein; außerdem - so meinte man - müßten angesichts der vielen neuen Errungenschaften eben auch Abstriche gemacht werden.
„Wer die Eispfähle oder Eisbrecher (!!) an der Biegung der Hase beim Bohne’schen Hause betrachtet, hätte wohl auf den Gedanken kommen können, ein wie reißender und gefährlicher Strom unsere doch so friedliche Hase sein müsse, wenn ihn nicht der altersschwache Zustand der Pfähle sofort eines anderen belehrt hätte. Seit gestern sind sie endlich auf Betreiben eines unserer Mitbürger verschwunden und die Hase gewährt dort nunmehr einen recht freundlichen Anblick, während derselbe früher in der Stadt geradezu unwürdig war. Es ist bedauerlich, daß derartige Verbesserungen immer erst eines langjährigen wiederholten äußeren Anstoßes bedürften.“ (OT, 16.7.1890)
Und die Hase, so dachte man wohl, war ja sowieso ein Fluß, der einfach da war, warum also ihn nicht nutzen? Die Vorstellung, industrielle Werke bestimmten Auflagen zu unterwerfen, konnte angesichts dieser, in der Mehrzahl als positiv empfundenen, Entwicklung noch nicht entstehen.
Dazu ein Beispiel:
1892 wurde auf einer Tagung des Bürgervorsteherkollegiums darüber diskutiert, die Hasefischerei zu forcieren, um eine alte Geldquelle neu zu erschließen. Mit der Begründung, die Hase sei viel zu häufig verschmutzt, wurde dieser Vorschlag abgelehnt. Wenn auch noch niemand daran dachte, die Ursachen zu bekämpfen, gegen die negativen Folgen der Haseverschmutzung sollte doch agiert werden. Immer wieder forderten gerade die Haseanlieger, aber auch Besucher in der Stadt, die Hase zu reinigen, aber kaum, die mannigfachen Einleitungen zu stoppen.
Unter Haseverschmutzung verstand man damals lediglich das, was man mit den Sinnen wahrnehmen konnte, also das, was man sah - Dreck, Gerümpel, Tierkadaver etc. - und das, was man roch. Die permanente, schleichende Vergiftung durch Kleinstteilchen oder was-serlösliche Stoffe wurde nur dann zur Kenntnis genommen, wenn Augen und Nasen sie auch wahrnahmen, nämlich dann, wenn das Wasser unappetitlich aussah oder stank. Oder aber, wenn die Schwäne verendeten. Das häufig auftretende Fischsterben wurde - da es scheinbar ein alltägliches Phänomen war - oft nur noch lapidar festgestellt.
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