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Abb. 12: Symptombekämpfung: wenn die Hase nicht zu sehr stinken soll, |
muss regelmässig – wie hier im Jahre 1967 – der Fluß entschlammt werden. |
Heute setzt man dazu Maschinen ein, vor 100 jahren war mühselige Handarbeit nötig |
Wie eingangs schon beschrieben, wurde in der 2. Hälfte des 19. Jh. ein Sammelkanal für die in der Stadt anfallenden Oberflächenwasser und Haus¬abwässer angelegt, um das Stadtbild sauberer - und damit hygienischer - zu gestalten. Die auf diese Weise gesammelten Abwässer wurden zwar immer noch ungeklärt in die Hase geleitet, aber unterhalb der Stadt. Damit sollte die Hase im Stadtgebiet eigentlich sauberer werden, aber sie stank und dreckte immer noch vor sich hin! Viele verstanden die Welt nicht mehr! Man hatte doch soviel getan, aber die Hase wurde nicht sauberer!
Schließlich wurde der Bau einer Kläranlage unterhalb der Eggemannschen Papiermühle - jetzt Kämmerer - beschlossen. Die Abwässer wurden in einem breiten Sammelkanal den mechanischen Klärbecken zugeführt. In der Stadt wurden mehrere Notauslässe geplant, falls der Sammelkanal einmal infolge starker Regengüsse überfüllt sein sollte. 1903 war der links der Hase verlaufende große Abwasserkanal fertiggestellt worden, mit dem Bau der Kläranlage ließ man sich jedoch Zeit: er wurde erst 1912 in Angriff genommen.
Mit dem Bau der Kanäle und der Ableitung der Abwässer unterhalb der Stadt in die Hase - ob gereinigt oder nicht - sollte sich eigentlich das hy¬gienische Bild der Stadt ändern. Auf die Straßensauberkeit traf das auch zu: die übelriechenden organischen Substanzen waren verschwunden. Die Hase jedoch stank weiter. Ein Leser äußerte sich reichlich mißmutig:
„Der Beweis für den Nutzen (der Doppel-Kanäle) ist in Wirklichkeit überhaupt nicht zu erbringen, abgese¬hen von der horrenden und m. E. höchst unnützen Geldausgabe.“ (OT, 2.7.1914)
„Für den Gesetzgeber ist es fraglos eine der größten Schwierigkeiten, den Nutzen oder den Schaden seiner Gesetzgebung für die Allgemeinheit einigermaßen richtig einzu¬schätzen, es fehlt ihm eben an Unterlagen. Man sollte aber annehmen dürfen, daß dort, wo solche zu beschaffen sind, kein Mittel unversucht bleiben dürfte, um die Allgemeinheit vor kostspieligen und schikanösen Aufwendungen zu schützen. Unsere Gesetzgeber auf dem hiesigen Rathause haben sich von dem Doppel-Kanalsystem soviel versprochen, daß es eingeführt wird, einerlei, was den Hausbesitzern für Kosten und Lasten erwachsen, die Hauptsache jedoch, die Unterlage auf die Nutzanwendung haben sie außer acht gelassen; denn wenn sie heute vormittag an der Neuen Mühle oder auf der Brücke Bruchstraße gestanden und die bei Ablassung des Hasewassers in sämtlichen Regenbogenfarben schillernden tief-schwarzen Gewässer gesehen hätten, dann wären sie zweifellos zu der Ueberzeugung gekommen, daß ihr Doppel-Kanalsystem eine Utopie bleibt, wenn der größte Verunreiniger der Hase seine Arbeit ungehindert fortsetzen kann. Unterschrift: Mehrere Hausbesitzer“
Die Wut ist verständlich! Jahrzehntelang hatten die Osnabrücker unter dem Zustand der Hase gelitten, umfangreiche und teure Maßnahmen in der Stadt (Kanalisation, Klärwerk) hatten die Situation ändern sollen, aber die Hase veränderte sich nicht! Die in dem Brief nicht genannten Verursacher lagen im Osten der Stadt: die Papierfabrik in Gretesch, das Stahlwerk, hauptsächlich aber der Schinkel (auf den bereits hingewiesen wurde). Die Landgemeinde hatte sich explosionsartig entwickelt, die Abwässer von knapp 10.000 Menschen liefen ungeklärt in Hase, und die Gemeinde hatte weder Geld für den Bau eines Sam¬melkanals noch gar für eine Kläranlage. Letztendlich war der Zustand der Hase dafür verantwortlich, daß der Schinkel 1914 eingemeindet und Teil der Stadt Osnabrück wurde.
Als Gegenleistung für das so hinzugewonnene Gebiet (samt Einwohner = Steu¬erzahler) verpflichtete sich die Stadt Osnabrück, den Schinkel an die städtischen Ver- und Entsorgungsleitungen anzuschließen. Denn was nützten all die Maßnahmen im Stadtgebiet, wenn die Haseverschmutzung vorher stattfand! Der eben genannte Leserbrief stieß bei den Lesern der Zeitung durchaus auf Zustimmung.
Aus beiden Leserbriefen wird deutlich, daß es zu dieser Zeit nicht selbstverständlich war, sich persönlich für seine Umwelt verantwortlich zu fühlen - man kann sich ruhig die Frage stellen, wie es heute damit aussieht ...
Die Notwendigkeit, den Fluß reinzuhalten wird angesichts der aufkommenden Kosten noch nicht gesehen. Es meldeten sich aber bereits auch andere Stimmen: Mehrere Haseanwohner forderten in der Presse die Bürger dazu auf, nicht mehr zu dulden, daß ihre Familienangehörigen, Angestellten etc. weiterhin Dreck und Unrat in die Hase würfen. Schließlich müsse man die Reinigung des Wassers teuer bezahlen! Womit eine sehr menschliche Eigenschaft ersichtlich wird: Wenn es teuer wird, fängt man an zu überlegen!
In der Presse nehmen die Hasenotizen während der folgenden Jahre - was die Quantität betrifft - ab. Das liegt aber nicht an der verbesserten Situation an und in der Hase, sondern an den Kriegsjahren. Andere Themen waren wichtiger. Wenn über die Hase berichtet wird, dann mit den üblichen negativen Beschreibungen. Auch nach dem 1. Weltkrieg hieß es: „Nichts Neues von der Hase!“
Abb. 13: Auswahl von Schlagzeilen in der Osnabrücker Zeitung im Sommer 1929: |
50 Jahre Haseverschmutzung rächen sich |
Auch in den 1920er Jahren stank und dreckte die Hase vor sich hin. Es wurde hin und wieder gereinigt, es erfolgten Aufrufe und Appelle, Kritik wurde laut, der Magistrat wurde aufgefordert, endlich etwas zu tun, aber nichts dergleichen geschah. Die Hase zeigte sich nun schon seit mehr als 50 Jahre völlig verdreckt und lebensfeindlich, jüngere Osnabrücker waren mit diesem Bild aufgewachsen und kannten gar nichts anderes mehr. Man kritisierte und schimpfte zwar ob der augenscheinlich unhaltbaren Zustände, man hatte aber scheinbar resigniert und konnte sich gar nicht vorstellen, daß man grundlegend etwas ändern könnte.
So berichtet das Osnabrücker Tageblatt 1928 zwar wieder einmal über ein großes Fischsterben, betont aber gleichzeitig, daß man vermutet habe, in der Hase würden gar keine Fische mehr leben. Nachdem morgens ein Schwarm von Weißfischen beobachtet worden war, eine Sensation an sich, trieben diese Fische nachmittags tot auf der öligen Wasseroberfläche. Und als Vorweggriff: Auch nach der „Hasekatastrophe“ im Jahre 1929 war es ein Jahr später tatsächlich eine Zeitungsmeldung wert, daß in der Hase wieder Fische gesehen worden waren!
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