Die theoretische Aufarbeitung der Stadt-Natur-Problematik im historischen Kontext weckte bei uns das Interesse an der Geschichte der eigenen Stadt. Dabei galt unser Augenmerk nicht unbedingt den historischen Fakten an sich – die sind durch renommierte Lokalchronisten ausreichend dargestellt. Uns interessierten vielmehr die konflikthaften Prozesse, die belegen, daß Stadtentwicklung partizipatorisch gestaltbar ist, daß immer wieder Chancen für eine zukunftsfähige urbane Entwicklung geboten wurden und werden, die man nutzen kann oder auch nicht. Aus einer solchen Beschäftigung mit der eigenen Stadt – so lautete unsere These – erwächst Identifikation und aktives Interesse an dem weiteren Gang der (städtischen) Dinge.
Die Osnabrücker Umweltschutzausstellung 1989 bot erstmalig Gelegenheit, unser Anliegen öffentlich zu präsentieren. Als Thema wählten wir die Geschichte des Osnabrücker Wallrings als besonders eindringliches Beispiel einer harten öffentlichen Auseinandersetzung bei einer entscheidenden stadtplanerischen Weichenstellung (s. a. den Aufsatz von Lahrmann / Terhalle in diesem Band). Als ideale Quelle zur Rekonstruktion dieses öffentlichen Streits dienten Zeitungsberichte und Leserbriefe, die in der lokalen Tagespresse massenhaft abgedruckt wurden. Wir beschafften uns außerdem historische Fotoaufnahmen und erstellten so mit dem gesammelten Material eine kleine Ausstellung, die in so manchem Osnabrücker lebhafte Erinnerungen wachrief. Diese kleine Ausstellung wollen wir – hier ohne jedes Pathos – als die Geburtsstunde des umwelthistorischen NUSO-Archivs betrachten.
Wir beschlossen schlicht, unsere Zeitungsrecherchen zur Osnabrücker Umweltgeschichte auszuweiten und zu systematisieren. Das bedeutete zwar quälend lange Stunden im Niedersächsischen Staatsarchiv vor dem Mikrofilmsichtgerät oder staubigen Zeitungsbänden, belohnte uns aber mit zahlreichen spannenden Episoden aus der Osnabrücker Stadtentwicklung, die in unserer entstehenden elektronischen Datenbank akribisch festgehalten wurden.
Anfangs mußten wir die Dokumente großenteils per Hand bzw. mit der Schreibmaschine abschreiben, weil die Vorlagen nicht kopierfähig waren. Noch heute bewundern wir den Langmut der Mitarbeiter und des Publikums im Staatsarchiv, die tagelang dem Gehämmer der mechanischen Schreibmaschinen ausgesetzt waren. Nicht nur diese geplagten Menschen, sondern besonders auch Irmtraud Hindersmann freuten sich, daß wir irgendwann Notebooks einsetzen konnten, denn letztere mußte zuvor alle unsere gesammelten Dokumente in unsere elektronische Datenbank übertragen, d h. noch einmal komplett abschreiben. Mit den Zeitungsdokumenten und anderen gesammelten Materialien wurde nach und nach eine Basis geschaffen, die es erlaubte, alle nur denkbaren umweltrelevanten Themenfelder zu beackern und addressatengerecht für Schulen, andere Bildungseinrichtungen oder die interessierte Öffentlichkeit aufzubereiten.
Und die Öffentlichkeit war aufgrund des neuartigen Projektansatzes, der die städtische Natur und Umwelt ins Zentrum rückte, sogar überregional interessiert: Unsere Arbeit nahm im Juli-Heft 1990 der bundesweit erscheinenden Zeitschrift »Umweltlernen« einen breiten Raum ein (s. die Beiträge »Stadtwälle« von Lahrmann / Terhalle und »Wie wünsche ich mir meine Umwelt?« von Kruckemeyer in diesem Band).
Das Projekt NUSO war ein Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen- (ABM-) Projekt und (mit denselben Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern) mit einer Laufzeit von maximal zwei Jahren von begrenzter Haltbarkeit. Von Beginn an stand für uns fest, daß mit Ablauf der zwei Jahre, und das hieß bis zum 30. September 1990, eine Abschlußdokumentation vorliegen sollte. Nun hatten wir sehr viel Bildmaterial aus alten Tageszeitungen sowie aus öffentlichen und privaten Fotoarchiven gesammelt. Auch die Fülle an Textdokumenten war mittlerweile imposant (wir näherten uns der ersten Tausend – jetzt, im Herbst 1999, sind es übrigens schon fast 25.000!). Deshalb entschieden wir bereits früh, eine große Ausstellung mit einem dazugehörigen Buch, das gleichzeitig Katalog sein sollte, ins Werk zu setzen. Wir wählten hierfür besonders spannende und ergiebige Themen aus: Die Geschichte des Wallrings (wobei dem Herrenteichswall besonders Raum gegeben werden sollte), die Hase – Flußverschmutzung ohne Ende und der Westerberg – Konflikt um Naherholung und Bebauung. Für das Buch wurde noch die Geschichte des Kampfes um eine »grüne Lunge«, einem Teil des sogenannten Katharinenviertels, ausgewählt. Weitere Autorinnen und Autoren trugen mit Fallstudien dazu bei, ein abgerundetes Werk auf den Markt zu bringen. Der Titel: »Stadtentwicklung im gesellschaftlichen Konfliktfeld – Naturgeschichte von Osnabrück«. Gerne hätten wir den lokalen Bezug zu Osnabrück im Titel gehabt und nahmen deshalb nur zähneknirschend hin, daß der Verlag Titel und Untertitel vertauschte.
Die Vorarbeiten und die technische Realisation nahmen so viel Zeit in Anspruch, daß die zeitlichen Vorgaben bei weitem nicht eingehalten wurden: Erst im Mai 1991 konnte beides, dann aber mit großem Erfolg, der Osnabrücker Öffentlichkeit präsentiert werden. Aufgrund ihres Erfolges wurde die Ausstellung »Natur in der Stadt – Bilder zur Osnabrücker Umweltgeschichte« – mit Unterstützung der Stadt – vollständig überarbeitet und im Museum am Schölerberg Natur und Umwelt von November 1991 bis Januar 1993 gezeigt.
Nachdem das universitäre ABM-Projekt ausgelaufen und die Arbeiten mit Erscheinen des Buches und der Präsentation der Ausstellung offiziell abgeschlossen waren, schien doch eines klar: Mit unserem Projektansatz hatten wir ein Defizit in der Umweltbildung sichtbar gemacht, was die Thematisierung städtischer Aspekte anging. So war denn auch die sich konkretisierende Idee, eine städtische Umweltbildung zu kreieren und zwar auf inhaltlich-didaktischer Ebene (Entwicklung eines »Curriculums« städtische Umweltbildung) als auch auf institutioneller Ebene (innerstädtischer Lernstandort als Umweltbildungszentrum) ohne Zweifel innovativ und lohnend als Perspektive für den Fortgang von NUSO. Und an dieser Perspektive hielten wir unbeirrt fest – und fanden Verbündete mit der Universität und der Stadt Osnabrück. Über einen dauerhaften Kooperationsvertrag mit der Hochschule wurden Räumlichkeiten und die notwendige Infrastruktur gesichert, auch wenn es hier keine Möglichkeit mehr gab, Arbeitsstellen für uns wissenschaftliche Mitarbeiter zu schaffen. An dieser Stelle kam nun der Verein für Ökologie und Umwelt Osnabrück e. V. (heute Verein für Ökologie und Umweltbildung Osnabrück e. V.) ins Spiel, dessen Vorsitzender Gerhard Becker geworden war. Einmütig erklärte sich der Verein bereit, die Trägerschaft für eine Neuauflage des ABM-Projektes zu übernehmen. Die Trägerschaft durch den Verein, der Standort in der Universität, die Bewilligung neuer Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für zwei der »alten« Mitarbeiter (Joachim Lahrmann und Günter Terhalle) durch das hiesige Arbeitsamt bei ergänzender Finanzierung durch die Stadt Osnabrück: das neue ABM-Projekt unter dem bewährten Namen NUSO war ab dem 15. Mai 1992 Realität – nun allerdings mit neu hinzukommenden Schwerpunkten.